Der Diplom-Biologe Michael Scheer ist Geschäftsführer der Gesellschaft für integrative Beschäftigung (GiB), die einen Schulkiosk, ein Café und zwei Stadtgärten betreibt. Das Unternehmen beschäftigt Menschen mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit und gibt ihnen die Möglichkeit sozialer Teilhabe. Ein Konzept, für das die GiB kürzlich mit dem Bremer Diversity Preis ausgezeichnet worden ist. 2014 hat Michael Scheer die „Gemüsewerft“ gegründet. Der rund 2.500m² große urbane Acker in Gröpelingen befindet sich auf dem Gelände eines stillgelegten Tiefbunkers, nicht einmal 100 Meter von der belebten Heerstraße und nur 180 Meter vom Hafenbecken ‚F‘ des Bremer Industriehafens entfernt. Aufgrund möglicher toxischer Belastungen des Erdreichs wird hier in Kisten und Hochbeeten angepflanzt. Aber auch die Räume des Erdbunkers werden künftig als Ertragsfläche dienen: Mithilfe eines auswärtigen Experten experimentiert die Gemüsewerft hier zurzeit mit dem Anbau von Austernpilzen.
Du bist studierter Biologe und Geschäftsführer eines Beschäftigungsträgers. Wie kam es zu dieser Entwicklung und wodurch ist die Idee der Gemüsewerft entstanden?
Genau genommen habe ich zwei Berufe. Ich bin Verhaltensforscher und Bioakustiker, übrigens bis heute. Nur verdiene ich seit vielen Jahren meine Brötchen woanders. Meine Tätigkeit als Geschäftsführer der GiB kam unerwartet und recht plötzlich: Am 26.12.2005 bekam ich einen Anruf von den Gesellschaftern der GiB , die mich fragten, ob ich eine Woche später Geschäftsführer werden möchte. Obwohl ich nicht wirklich wusste, worauf ich mich da einließ, sagte ich zu. Erst später wurde daraus auch eine Leidenschaft, zumal ich hier großen Gestaltungsfreiraum habe.
Die Idee der Gemüsewerft ist mit der Zeit gewachsen. Seit einigen Jahren entstehen Stadtgärten als eine Art Gegenbewegung zu gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Entwicklungen. Unsere Industrienationen verdichten sich in Städten, wir streben nach unangemessenen Wachstum und Fortschritt. Unser vermeintlicher Erfolg ist eine geopolitische Fehlkalkulation ohne Nachhaltigkeit. Er klammert wichtige Fragen aus, zum Beispiel die einer nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion. Mit dem Thema Urban Gardening bin ich 2012 auf einem Stadtgartenkongress in Berührung gekommen. Mich hat das gleich interessiert. Erstens, weil ich es ehrlich gesagt erbärmlich finde, dass wir als Verbraucher nicht mehr in der Lage sind, Nahrung selbst herzustellen. Außerdem bin ich ja Geschäftsführer des café brands in Gröpelingen, in dem wir Lebensmittel einkaufen und verarbeiten. Mit der Gemüsewerft geht es darum, kurze, regionale und nachhaltige Kreisläufe zu erzeugen. Es war ein Glücksfall, dass ich dann mehr oder weniger über das Gelände gestolpert bin und vom Eigentümer die Perspektive bekommen habe, hier langfristig anzubauen.
Wir reden hier über Gemüsegold.
Du hast derzeit einen jährlichen Ertrag von rund 1,3 Tonnen Obst und Gemüse, das macht eine Stadt nicht satt.
Das stimmt. Natürlich ist das Verhältnis von dem, was wir an Nahrung produzieren zu dem, was der Bremer verbraucht verschwindend gering. Darum geht es aber auch nicht. Was wir hier prinzipiell machen ist einen Ort nachhaltig zu entwickeln. Es geht uns darum, Mentalitäten und Konsumverhalten zu verändern. Menschen, die hier herkommen oder unsere Produkte kaufen, fangen an sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie fangen an sich mit dem Wert von regionaler Nahrung und überhaupt dem Wert von Essen auseinanderzusetzen. Ganz nebenbei entdecken sie die Aufenthaltsqualität eines solchen Areals, ein zweiter wichtiger Faktor. Landwirtschaft in der Stadt ist immer auch politisch und sozial. Sozial in unserem Fall, weil ich hier Menschen beschäftige, die aus einem Raster heraus fallen. Politisch, weil wir mit der Form der Flächennutzung auch automatisch Themen der Stadtentwicklung, des Umwelt- und Naturschutzes, der Umweltgerechtigkeit und der Gesundheit in der Stadt anstoßen.
Es verhält sich im Übrigen so, dass sich finanziell keiner der deutschen bzw. nordeuropäischen Stadtgärten – abgesehen vielleicht von Annalinde in Leipzig – sich allein aus ihrer Ernte tragen. Dazu sind die Nettoertragsflächen zu klein und die Infrastrukturen nicht ausreichend. Die Stadtgärten, die eine wirtschaftliche Nachhaltigkeit anstreben, haben alle weitere Dienstleistungen entwickelt, die sie finanziell voranbringen, sei es der Betrieb eines hauseigenes Cafés oder der Auftritt als Kulturstätte und Bildungsort oder alles gleichzeitig.
Wer oder was hat Dir beim Aufbau des Unternehmens am meisten geholfen?
Das mag komisch klingen, es ist aber die Überzeugung, das Richtige zu tun. Das gilt für die Form der inklusiven Beschäftigung in unserer Gesellschaft , das gilt aber besonders auch für die Gemüsewerft. Es ist eine gute Idee, die zur richtigen Zeit kommt. Das bestätigt sich auch durch eine Vielzahl an positiv beschiedenen Förderanträgen, die ich hierfür bisher bekommen habe.
Natürlich hilft es auch, ein gemeinnütziger Sozialbetrieb zu sein. Unsere Zweckbetriebe verdienen zum einen selber Geld. Dazu kommen aber auch immer – und das ist für die wirtschaftliche Nachhaltigkeit unabdingbar – Mittel der Eingliederungshilfe. Voraussetzung hierfür ist die Gemeinnützigkeit. Ein weiterer Vorteil von Gemeinnützigkeit ist die Möglichkeit, Fördermittel beispielsweise zur Anschubfinanzierung beantragen zu können. Das gibt uns die notwendige Zeit, um uns angemessen in die Branche hineinzuarbeiten.
Das Thema ist inzwischen in der Stadt angekommen und wir erhalten viel Zuspruch. Beispielsweise haben wir durch die Unterstützung der Bremer Wirtschaftsförderung und des Projekts BioStadt Bremen des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr eine zusätzliche Fläche in der Bremer Überseestadt bekommen. Wir können jetzt auf einer Industriebrache südlich des Europahafenbeckens unsere Anbaumenge mehr als verdoppeln. Übrigens alles nach den Prinzipien des ökologischen Landbaus. Eine Bio-Zertifizierung ist beantragt.
Es läuft alles sehr gut an und das auch sehr schnell. Wir müssen selbst kaum akquirieren, vielmehr kommen die Anfragen ganz von alleine. Wir sind wirklich zur richtigen Zeit mit dem richtigen Thema am richtigen Ort.
Was bedeutet für Dich die Rolle des Chef-Seins?
Ein sehr wichtiger Aspekt ist die Freiheit, selbst zu entscheiden. Natürlich ist das auch gleichzeitig die größte Bürde. Man darf zwar entscheiden aber gleichzeitig muss man auch mit den Ergebnissen seiner Entscheidung leben.
Man muss als Chef natürlich gut abliefern. Arbeitsumgebungen müssen gut ausgestaltet sein, Atmosphären müssen stimmen. Eine Idee muss attraktiv und vor allem zeitgemäß sein.Anspruch ist zwingend notwendig und den gilt es zu verteidigen . Die Leute müssen das spüren, Und sie müssen Respekt davor haben. Der Dialog mit den Kolleginnen und Kollegen sollte stets authentisch und vor allem wahr bleiben.
Im Nachgang sind Schulden großer Mist.
Was rätst Du anderen Gründern?
Ganz einfach denken. Und vor allem alles wirklich zu Ende denken. Entwickle einen gesunden Geschäftssinn. Die Pflicht eines Gründers ist es unternehmerisch zu denken. Es gibt keinen Welpenschutz. Gib nie mehr Geld aus, als du einnimmst. Habe keine übersteigerten Erwartungen an den vermeintlichen Gewinn und stelle vor allem keine Milchmädchen-Rechnungen auf .
Habe keine Angst vor dem Scheitern. Der Zyklus aus Entstehung, Konsolidierung und vielleicht auch Scheitern – hat man das einmal erlebt, bist du sattelfest. Auf die Nase zu fallen gehört zum Leben Nur so lernt man übrigens auch das Laufen. Werde nie gierig, bleibe am Ball. Halte durch! Es wird garantiert auch unangenehm.
Der Diplom-Biologe Michael Scheer ist Geschäftsführer der Gesellschaft für integrative Beschäftigung (GiB), die einen Schulkiosk, ein Café und zwei Stadtgärten betreibt. Das Unternehmen beschäftigt Menschen mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit und gibt ihnen die Möglichkeit sozialer Teilhabe. Ein Konzept, für das die GiB kürzlich mit dem Bremer Diversity Preis ausgezeichnet worden ist. 2014 hat Michael Scheer die „Gemüsewerft“ gegründet. Der rund 2.500m² große urbane Acker in Gröpelingen befindet sich auf dem Gelände eines stillgelegten Tiefbunkers, nicht einmal 100 Meter von der belebten Heerstraße und nur 180 Meter vom Hafenbecken ‚F‘ des Bremer Industriehafens entfernt. Aufgrund möglicher toxischer Belastungen des Erdreichs wird hier in Kisten und Hochbeeten angepflanzt. Aber auch die Räume des Erdbunkers werden künftig als Ertragsfläche dienen: Mithilfe eines auswärtigen Experten experimentiert die Gemüsewerft hier zurzeit mit dem Anbau von Austernpilzen.
Du bist studierter Biologe und Geschäftsführer eines Beschäftigungsträgers. Wie kam es zu dieser Entwicklung und wodurch ist die Idee der Gemüsewerft entstanden?
Genau genommen habe ich zwei Berufe. Ich bin Verhaltensforscher und Bioakustiker, übrigens bis heute. Nur verdiene ich seit vielen Jahren meine Brötchen woanders. Meine Tätigkeit als Geschäftsführer der GiB kam unerwartet und recht plötzlich: Am 26.12.2005 bekam ich einen Anruf von den Gesellschaftern der GiB , die mich fragten, ob ich eine Woche später Geschäftsführer werden möchte. Obwohl ich nicht wirklich wusste, worauf ich mich da einließ, sagte ich zu. Erst später wurde daraus auch eine Leidenschaft, zumal ich hier großen Gestaltungsfreiraum habe.
Die Idee der Gemüsewerft ist mit der Zeit gewachsen. Seit einigen Jahren entstehen Stadtgärten als eine Art Gegenbewegung zu gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Entwicklungen. Unsere Industrienationen verdichten sich in Städten, wir streben nach unangemessenen Wachstum und Fortschritt. Unser vermeintlicher Erfolg ist eine geopolitische Fehlkalkulation ohne Nachhaltigkeit. Er klammert wichtige Fragen aus, zum Beispiel die einer nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion. Mit dem Thema Urban Gardening bin ich 2012 auf einem Stadtgartenkongress in Berührung gekommen. Mich hat das gleich interessiert. Erstens, weil ich es ehrlich gesagt erbärmlich finde, dass wir als Verbraucher nicht mehr in der Lage sind, Nahrung selbst herzustellen. Außerdem bin ich ja Geschäftsführer des café brands in Gröpelingen, in dem wir Lebensmittel einkaufen und verarbeiten. Mit der Gemüsewerft geht es darum, kurze, regionale und nachhaltige Kreisläufe zu erzeugen. Es war ein Glücksfall, dass ich dann mehr oder weniger über das Gelände gestolpert bin und vom Eigentümer die Perspektive bekommen habe, hier langfristig anzubauen.
Du hast derzeit einen jährlichen Ertrag von rund 1,3 Tonnen Obst und Gemüse, das macht eine Stadt nicht satt.
Das stimmt. Natürlich ist das Verhältnis von dem, was wir an Nahrung produzieren zu dem, was der Bremer verbraucht verschwindend gering. Darum geht es aber auch nicht. Was wir hier prinzipiell machen ist einen Ort nachhaltig zu entwickeln. Es geht uns darum, Mentalitäten und Konsumverhalten zu verändern. Menschen, die hier herkommen oder unsere Produkte kaufen, fangen an sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie fangen an sich mit dem Wert von regionaler Nahrung und überhaupt dem Wert von Essen auseinanderzusetzen. Ganz nebenbei entdecken sie die Aufenthaltsqualität eines solchen Areals, ein zweiter wichtiger Faktor. Landwirtschaft in der Stadt ist immer auch politisch und sozial. Sozial in unserem Fall, weil ich hier Menschen beschäftige, die aus einem Raster heraus fallen. Politisch, weil wir mit der Form der Flächennutzung auch automatisch Themen der Stadtentwicklung, des Umwelt- und Naturschutzes, der Umweltgerechtigkeit und der Gesundheit in der Stadt anstoßen.
Es verhält sich im Übrigen so, dass sich finanziell keiner der deutschen bzw. nordeuropäischen Stadtgärten – abgesehen vielleicht von Annalinde in Leipzig – sich allein aus ihrer Ernte tragen. Dazu sind die Nettoertragsflächen zu klein und die Infrastrukturen nicht ausreichend. Die Stadtgärten, die eine wirtschaftliche Nachhaltigkeit anstreben, haben alle weitere Dienstleistungen entwickelt, die sie finanziell voranbringen, sei es der Betrieb eines hauseigenes Cafés oder der Auftritt als Kulturstätte und Bildungsort oder alles gleichzeitig.
Wer oder was hat Dir beim Aufbau des Unternehmens am meisten geholfen?
Das mag komisch klingen, es ist aber die Überzeugung, das Richtige zu tun. Das gilt für die Form der inklusiven Beschäftigung in unserer Gesellschaft , das gilt aber besonders auch für die Gemüsewerft. Es ist eine gute Idee, die zur richtigen Zeit kommt. Das bestätigt sich auch durch eine Vielzahl an positiv beschiedenen Förderanträgen, die ich hierfür bisher bekommen habe.
Natürlich hilft es auch, ein gemeinnütziger Sozialbetrieb zu sein. Unsere Zweckbetriebe verdienen zum einen selber Geld. Dazu kommen aber auch immer – und das ist für die wirtschaftliche Nachhaltigkeit unabdingbar – Mittel der Eingliederungshilfe. Voraussetzung hierfür ist die Gemeinnützigkeit. Ein weiterer Vorteil von Gemeinnützigkeit ist die Möglichkeit, Fördermittel beispielsweise zur Anschubfinanzierung beantragen zu können. Das gibt uns die notwendige Zeit, um uns angemessen in die Branche hineinzuarbeiten.
Das Thema ist inzwischen in der Stadt angekommen und wir erhalten viel Zuspruch. Beispielsweise haben wir durch die Unterstützung der Bremer Wirtschaftsförderung und des Projekts BioStadt Bremen des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr eine zusätzliche Fläche in der Bremer Überseestadt bekommen. Wir können jetzt auf einer Industriebrache südlich des Europahafenbeckens unsere Anbaumenge mehr als verdoppeln. Übrigens alles nach den Prinzipien des ökologischen Landbaus. Eine Bio-Zertifizierung ist beantragt.
Es läuft alles sehr gut an und das auch sehr schnell. Wir müssen selbst kaum akquirieren, vielmehr kommen die Anfragen ganz von alleine. Wir sind wirklich zur richtigen Zeit mit dem richtigen Thema am richtigen Ort.
Was bedeutet für Dich die Rolle des Chef-Seins?
Ein sehr wichtiger Aspekt ist die Freiheit, selbst zu entscheiden. Natürlich ist das auch gleichzeitig die größte Bürde. Man darf zwar entscheiden aber gleichzeitig muss man auch mit den Ergebnissen seiner Entscheidung leben.
Man muss als Chef natürlich gut abliefern. Arbeitsumgebungen müssen gut ausgestaltet sein, Atmosphären müssen stimmen. Eine Idee muss attraktiv und vor allem zeitgemäß sein.Anspruch ist zwingend notwendig und den gilt es zu verteidigen . Die Leute müssen das spüren, Und sie müssen Respekt davor haben. Der Dialog mit den Kolleginnen und Kollegen sollte stets authentisch und vor allem wahr bleiben.
Was rätst Du anderen Gründern?
Ganz einfach denken. Und vor allem alles wirklich zu Ende denken. Entwickle einen gesunden Geschäftssinn. Die Pflicht eines Gründers ist es unternehmerisch zu denken. Es gibt keinen Welpenschutz. Gib nie mehr Geld aus, als du einnimmst. Habe keine übersteigerten Erwartungen an den vermeintlichen Gewinn und stelle vor allem keine Milchmädchen-Rechnungen auf .
Habe keine Angst vor dem Scheitern. Der Zyklus aus Entstehung, Konsolidierung und vielleicht auch Scheitern – hat man das einmal erlebt, bist du sattelfest. Auf die Nase zu fallen gehört zum Leben Nur so lernt man übrigens auch das Laufen. Werde nie gierig, bleibe am Ball. Halte durch! Es wird garantiert auch unangenehm.